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Technik

Fernrohr in die Vergangenheit:

30 Jahre Weltraumteleskop Hubble

30 Jahre, immer für eine Überraschung gut und weltweit verehrt: Was klingt wie der Aufstieg zur Pop-Ikone, ist die Erfolgsbilanz eines Veteranen. Mit 30 Einsatzjahren hat das Hubble Weltraumteleskop HST (Hubble Space Telescope) die kühnsten Erwartungen als Fernrohr in die Vergangenheit übertroffen – und ist alles andere als am Ende. Der unermüdlich spähende Methusalem umkreist 15 Mal pro Tag die Erde – immer auf der Suche nach Schwarzen Löchern, fernen Galaxien und fremden Planeten. Seine Unverwüstlichkeit verdankt er einer ausgeklügelten Konstruktion, abenteuerlichen Reparatureinsätzen von fünf Astronautenteams und der robusten Konstitution von Materialien wie Edelstahl Rostfrei.

Im April 1990 wurde das himmlische Teleskop von der US-Raumfähre Discovery einen Tag nach dem Start von Cape Canaveral in 600 Kilometer Höhe im Orbit ausgesetzt – rund 30 Prozent höher als heute die Internationale Raumstation ISS ihre Runden zieht. Die Idee zu einem Weltraumteleskop ist jedoch fast 100 Jahre alt und stammt von dem Physiker Hermann Oberth. 1946 griff sie der amerikanische Astrophysiker Lyman Spitzer auf, um Störungen durch die Erdatmosphäre beim Blick ins Universum zu vermeiden. Bis zum ersten Entwurf sollte es jedoch weitere 30 Jahre dauern, 1977 wurde schließlich eine abgespeckte Version dieses Entwurfs als Gemeinschaftsprojekt der US-Raumfahrtbehörde NASA und der Europäischen Weltraumorganisation ESA genehmigt. Wiederum 13 Jahre später nahm das fliegende Observatorium seinen Dienst im Orbit auf. Seitdem durchdringt sein Blick mit nimmermüder Geduld die unendliche Dunkelheit, um möglichst viele bislang dunkle Flecken im Geschichtsbuch des Universums zu enthüllen. Seine Ausdauer hat sich gelohnt, denn mit über 1,4 Millionen Observationen hat Hubble die Sicht von Fachwelt und Öffentlichkeit auf das Universum revolutioniert. Astronomen konnten mit Hilfe der von Hubble gesendeten Daten zentrale Fragen der Astronomie beantworten. Die Schönheit seiner frei verfügbaren, mystischen Bilder weckte weltweit die Begeisterung der Menschheit für die Geheimnisse des Alls. Dazu trug auch der parallel zu seiner Mission einsetzende Siegeszug des Internets bei, das mit immer neuen spektakulären Aufnahmen den Kultstatus von Hubble forcierte. 30 Jahre nach dem Start gilt das HST als eine der produktivsten und zugleich erfolgreichsten astronomischen Missionen überhaupt: 150 Terabyte Daten hat es bis heute geliefert, jedes Jahr kommen weitere zehn Terabyte hinzu. Sie haben das Wissen über Vorgänge und Zusammenhänge des Universums grundlegend verändert und zu bahnbrechenden Erkenntnissen geführt: So konnte mit ihrer Hilfe beispielsweise das Alter des Universums auf 13,7 Milliarden Jahre bestimmt werden, sie lieferten wertvolle Hinweise zur Dunklen Materie und Dunklen Energie, trugen zur Bestätigung der seit dem Urknall zunehmend beschleunigten Ausdehnung des Universums bei, zeigten die ersten Galaxien nach dem Urknall und sogenannte Exoplaneten, die außerhalb des Sonnensystems andere Sterne umkreisen. Hubble dokumentierte Entstehung, Leben und Sterben von Sternen und schuf mit wochenlangen Langzeitbelichtungen die berühmten Deep Field-Aufnahmen. Diese Meilensteine der Astronomie zeigen Tausende Galaxien in einem kleinen Himmelsausschnitt. Überaus populär sind auch seine Aufnahmen von planetarischen Nebeln, eines der bekanntesten Bilder zeigt die Säulen der Schöpfung, säulenartige Formationen aus Staub und Wasserstoff im Adlernebel. Möglich macht diese enorme Bandbreite der Beobachtungen das ebenso präzise wie vielseitige Frequenzspektrum von Hubble: So liefert der Späher trotz seiner Reisegeschwindigkeit von 28.800 Stundenkilometern gestochen scharfe Bilder aus dem Infrarotbereich, dem sichtbaren Licht und dem Ultraviolettbereich.

Anfänglicher Knick in der Optik

Gemessen an erdgebundenen Teleskopen ist die zylinderförmige Konstruktion von Hubble mit einer Gesamtlänge von 13 Metern und 4,3 Metern Durchmesser eher klein. Herzstück ist ein extrem scharfsichtiges und präzises Spiegelteleskop von 6,4 Metern Länge mit einem Hauptspiegel, dessen Durchmesser 2,4 Meter beträgt. Auf ihn trifft das Licht aus den Tiefen des Weltalls durch eine Öffnung an Hubbles Stirnseite. Dieser konkav gewölbte Primärspiegel wirft es auf den gegenüberliegenden Sekundärspiegel, der es wiederum durch die zentrale 60 Zentimeter große Mittenöffnung des Hauptspiegels auf die Brennebene reflektiert, wo die optischen Daten verarbeitet werden. So kann Hubble mit einer Auflösung von 0,05 Bogensekunden Objekte in der Größe eines Glühwürmchens in mehr als 10.000 Kilometer Entfernung beobachten und im Bild festhalten. Für den sichtbaren Bereich ist das zehn Mal höher als bei erdbasierten Teleskopen, im ultravioletten Bereich sogar 100 Mal besser. Das war nicht immer so, denn Hubble wurde durch einen Kalibrierfehler mit einer angeborenen Sehschwäche im All ausgesetzt: Um vier Mikrometer zu flach abgeschliffene Kanten des Hauptspiegels bewirkten, dass das Licht nicht in der notwendigen Fokussierung auf die Brennebene traf und die zur Erde gesendeten Bilder folglich unscharf waren. Abhilfe schaffte drei Jahre nach seinem Dienstbeginn eine „Brille“: Im Rahmen der ersten Reparaturmission eines Space Shuttles installierten die Astronauten der Raumfähre Endeavour das COSTAR-Korrektursystem (Corrective Optics Space Telescope Axial Replacement).

Unkontrollierte Zuckungen

In ihren fünf Außeneinsätzen bei dieser Mission führten die Astronauten auch dringend notwendige Arbeiten an den Solarpaneelen durch. Diese sind flügelartig an beiden Seiten des HST angebracht und liefern die benötigte Energie für Instrumente, Ausrichtung und Datenübertragung. Zudem laden die je 2,30 x 11,80 Meter großen Elemente die Batterien auf, die Hubble während der Reisezeit auf der Nachtseite der Erde mit Strom versorgen. Für den Transport in den niedrigen Orbit wurden sie zwischen Tank und Ladebucht des Space Shuttles platziert – aufgerollt in einer zylinderförmigen Schutzhülle mit nur 39 Zentimeter Durchmesser. Möglich machte dies eine Konstruktion aus einer mit 15 flexiblen Solarzellen – drei Reihen à fünf Zellen – beschichteten Mehrschichtfolie. Im Weltraum angekommen, wurde die beiden aufgerollten Kollektorfelder von einem nur 2,2 Zentimeter großen Motor aus Edelstahl Rostfrei aus ihrer Schutzhülle gezogen und in einen Stützrahmen aus Edelstahlrohren gespannt. In zahlreichen Einsätzen haben sich nichtrostende Chrom-Nickel-Stähle im Weltall bewährt, da sie den dort herrschenden extremen Temperaturunterschieden besonders gut gewachsen sind. Zudem können bei gleicher Temperaturbeständigkeit und Tragfähigkeit der Komponenten deutlich dünnere Bleche als bei Alternativmaterialien verwendet werden. Hubbles Solarpaneele sind in der rauen Umgebung des Weltalls während der 97 Minuten dauernden Umlaufbahn enormen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Alle 96 Minuten geht die Sonne auf und wieder unter, sodass die Kollektoren 16 Mal am Tag Temperaturwechsel von plus 100 Grad Celsius in der Sonne zu minus 100 Grad Celsius im Schatten aushalten müssen. Hubbles Solarpaneele der ersten Generation waren diesen Anforderungen nicht gewachsen. Beim Wechsel auf die Sonnenseite der Erde dehnte sich das Material der ersten Sonnensegel regelmäßig aus, was durch fehlerhafte Kompensatoren nicht wie geplant ausgeglichen wurde. Die Rahmenkonstruktion bestand aus dünnen Edelstahlbändern, die zu kreisförmigen Querschnitten geformt und abgeflacht wurden. Ihre offenen Nähte waren so ineinandergesteckt, dass eine röhrenförmige Struktur entstand. Durch einen Konstruktionsfehler und die gleichzeitige Exposition gegenüber direkter und indirekter Sonneneinstrahlung dehnten sich die beiden Rohrelemente unterschiedlich stark aus. Dieses Zusammenspiel von unkontrollierten Expansionen und Kontraktionen verformte die Solarpaneele jedes Mal derart, dass sekundenlange Zuckungen das gesamte Teleskop erschütterten. Mit dem Austausch der flexiblen Solarflügel gegen eine neue, steife Version lösten die Astronauten der Endeavour auch dieses Problem. Überall dort, wo besondere Anforderungen an Verbindungen gefordert sind, kamen an Hubble tausende Befestigungselemente aus austenitischem Edelstahl Rostfrei der Güte 1.4980 zum Einsatz. Für diesen Werkstoff sprach, dass er – anders als gehärtete Stähle – keine Beschichtung benötigt und hohen Temperaturen ebenso wie hoher Belastung dauerhaft standhält. Die Eisen-Nickel-Chrom-Legierung mit Molybdän- und Titanzusatz zeichnet sich durch hohe Warmfestigkeit, hervorragende Verarbeitungseigenschaften sowie Temperaturbeständigkeit bis 700°C aus. Gepaart mit der hohen Duktilität war dieser Werkstoff insbesondere für vorgespannte Verbindungen mit Muttern, Halterungen, Gehäusen, Montageplatten oder Distanzscheiben unverzichtbar.

Schützende Haut aus Edelstahl

Die Ausrichtung des Teleskops auf einen Leitstern mit einer Genauigkeit von 0,01 Bogensekunden übernehmen jeweils drei Sensoren (Fine Guidance Sensors, FGS). Zu diesem Zweck messen sie die Position des HST relativ zum Leitstern und fixieren dafür den Stern im Zentrum ihres Blickfeldes. Wandert der Stern aus diesem Zentrum heraus, justieren die FGS Hubble entsprechend neu. Die Kugellager dieser für die Feinsteuerung verantwortlichen Sensoren werden aus Edelstahl Rostfrei der Güte 1.4125 (440C) gefertigt. Dieser martensitische nichtrostende Edelstahl hat einen hochfesten Kern. Durch Induktionshärten werden auch die Oberflächenschichten gehärtet, sodass der Edelstahl durch optimierte Abrieb- und Ermüdungsfestigkeit sogar bei extremer Kälte die geforderte Zuverlässigkeit der Lager gewährleistet. Um die empfindlichen Instrumente im Inneren des fliegenden Observatoriums vor der sehr hohen thermischen Belastung durch schnelle und radikale Temperaturwechsel zu schützen, ist die gesamte Oberfläche von Hubble mit einer Mehrschichtisolierung verkleidet. Bei einer Inspektion im Rahmen der zweiten Space Shuttle-Servicemission zeigte sich 1997, dass die oberste Schicht aus metallisch bedampftem Teflon diesen Herausforderungen nicht standgehalten hatte. An vielen Stellen war sie brüchig geworden und erste Risse waren bereits entstanden. Notdürftig flickten die Astronauten der Discovery die defekten Stellen mit Reservematerial, das eigentlich für die Solarflügel vorgesehen war. Zwei Jahre später kamen – wiederum mit der Discovery – Astronauten zur nächsten Servicemission. Im Gepäck hatte das Space Shuttle drei Paneele mit einer neuentwickelten Schutzschicht aus einer speziell beschichteten NOBL (New Outer Blanket Layer) genannten Edelstahlfolie, die in einem Edelstahlrahmen fixiert war. Die Weltraumtauglichkeit dieser Folie war zuvor auf mindestens zehnjährige Beständigkeit gegenüber Temperaturschwankungen, Strahlungen und Beschädigung durch Partikel von orbitalen Trümmern oder durch Mikrometeoriten getestet worden. In mehreren Außeneinsätzen wurden die Edelstahlpaneele von den Astronauten exakt an die Form der jeweiligen Gerätebucht angepasst und anschließend auf die vorhandene defekte Isolierung montiert. In den beiden folgenden Space Shuttle-Reparaturmissionen 2002 und 2009 erhielten vier weitere Buchten diese Isolierungen aus Edelstahl Rostfrei. Bis heute widerstehen alle NOBL-Paneele seit ihrer Montage den für den Weltraum typischen extremen Einsatzbedingungen und gewährleisten eine zuverlässige Isolierung von Hubble und seinen empfindlichen Instrumenten.

 

Während der insgesamt fünf Wartungsmissionen zwischen 1993 und 2009 wurde Hubble mit Halterungen in der Ladebucht des Space Shuttle gesichert. Bei allen Außeneinsätzen zur Reparatur oder Aufrüstung des Hubble Weltraum Teleskops vertrauten auch die Astronauten zu ihrer eigenen Sicherheit auf Spezialkomponenten aus Edelstahl Rostfrei – Komponenten, die für alle Besatzungen der Space Shuttles und ISS zur Standardausrüstung zählen: Mit speziellen Hand- und Fußmanschetten aus nichtrostendem Stahl fixierten sie sich an eigens vorgesehene Servicehalterungen an der Außenhülle des HST, um die Hände frei zum Arbeiten zu haben. Zusätzlich befestigten sie tragbare und in ihrem Neigungswinkel verstellbare Fußstützen zwischen Nutzlastbucht und Teleskop, um bei den Wartungsarbeiten neben dem notwendigen stabilen Stand jederzeit auch eine optimale Arbeitsposition zu haben.

 

2009 erhielt Hubble das letzte Mal Besuch von der Erde. Seitdem ist es auf sich allein angewiesen. Dennoch sendet die fliegende Legende unverdrossen große Datenmengen zur Erde und lässt die Astronomen so an immer neuen Entdeckungen teilhaben. So entdeckte Hubble zu Beginn seines Jubiläumsjahres mit der Godzilla-Galaxie (offizieller Name UGC 2885) eine riesige Galaxie, die zweieinhalb Mal so breit ist wie die Milchstraße und zehnmal so viele Sterne hat. Zum 30. Geburtstag von Hubble veröffentlichte die NASA (https://www.nasa.gov/content/hubbles-30th-anniversary) 30 neue Bilder. Highlight ist das Porträt von zwei bunten Nebeln (NGC 2014 und NGC 2020), die zu einem gigantischen 163.000 Lichtjahre von der Erde entfernten Sternenentstehungskomplex in der Großen Magellanschen Wolke gehören und wegen ihrer Form den Spitznamen „Kosmisches Riff“ erhielten. Das Ende der Hubble-Ära ist allerdings absehbar. Jedes Jahr verliert das im Orbit kreisende Weltraumteleskop 1,5 Kilometer an Höhe, irgendwann wird es sich der Schwerkraft nicht mehr entziehen können. Die NASA hat dann die Wahl, es mit einer unbemannten Sonde gezielt über einer unbewohnten Region zum Absturz zu bringen oder es anzuheben und als künstlichen Trabanten weiterhin die Erde umrunden zu lassen. Mit dem James Webb Space Telescope (JWST) steht der Nachfolger theoretisch schon lange in den Startlöchern, seine faktische Reise ins All verzögerte sich jedoch immer wieder. Nach offiziellen Angaben soll dieses deutlich größere Weltraumteleskop nun voraussichtlich März 2021 zu seiner Mission aufbrechen. In Bandbreite des Frequenzspektrums und Missionsdauer bleibt Hubble dennoch ein unerreichtes Synonym für bahnbrechende Weltraumforschung.

 

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